Die Karten versprechen eine große Reise

Ich lege den Karo-Buben vor mir auf den Tisch. Er sieht meinem Traum-Mann am ähnlichsten. Meinem zukünftigen Traum-Mann. Wie jetzt? Die Karte des Partners ist der Herz-König?

Stimmt. Einerseits.

Aber auch das stimmt: moderne Hexen empfehlen, die ganze Sache etwas lockerer zu sehen.

So wie ja heute vieles lockerer gesehen wird. Die Kinder-Erziehung zum Beispiel. Oder die Schließzeiten der Jugendherbergen. Die machen ja auch nicht mehr um zehn Uhr zu und schließen alle ein. Oder dass man Schokoladen-Fudge jetzt auch in der Mikrowelle machen darf. Da hat sich doch was geändert in der Gesellschaft. Warum also nicht auch die Interpretation der Karten.

Und deswegen ist das Pik-As nicht mehr der Tod, sondern kann auch Veränderung bedeuten. Das ist nämlich auch eine Art von Tod. Der Tod des Alten. Nicht im Sinne von: der Alte sprich Ehemann. Sondern im Sinne von: Das Leben, so wie man es kennt, ist zu Ende und es kommt etwas Neues.

(Zusatz zu oben. Das kann natürlich durchaus auch den Tod des Alten sprich Ehemann bedeuten. Damit ist Leben, wie man es kennt, natürlich auch vorbei. Das wäre dann Pik-As im Quadrat).

Aber zurück zu meinem Karo-Buben.

Er liegt vor mir auf dem Tisch. Ich mische die restlichen Karten. Dann lege ich eine Karte auf den Karo-Buben. Welches traditionelle Legemuster das ist? Keins. Ich habe es mir ausgedacht. Sie wissen doch, diese modernen Hexen … Ich nenne das Legemuster: ESLfEN.

Das bedeutet: extra-schnelles Legemuster für extrem Neugierige.

Hinlegen, zu was man fragen will.

Zweite Karte drauf.

Interpretieren.

Fertig.

Ich drehe die Karte um. Es ist eine Kreuz-Zehn. Also die große Reise. Oh. Gut.

Äh … mmmh…

Was bedeutet große Reise? Wer macht hier die große Reise? Er oder ich? Und wenn ja, wer wohin? Zueinander hin oder voneinander weg?

Jetzt bin ich genauso klug (oder unklug) wie vorher…Mist …

Und was ist überhaupt mit großer Reise gemeint? Ist ein Flug von Hamburg nach Palma de Mallorca heutzutage eine große Reise?

Oder hat Captain Cook die Maßstäbe für große Reisen gesetzt? Seine erste Reise in die Südsee hin und zurück dauerte drei Jahre. Seine beiden nächsten Reisen waren genauso lang.

Zu den Zeiten, als meine Ur-Großmutter Clara Bürgel jung war, also im Jahr 1894, konnte sogar eine Wanderung von Bad Tölz zum Kaffee trinken nach Lenggries zu einer großen Reise werden.

Wenn man es wie meine Ur-Großmutter anstellte und sich von Ort zu Ort locken ließ, bis es keine Kutschen mehr zurück nach Bad Tölz gab.

Ausgang der Geschichte: fünf Tage ohne Gepäck unterwegs. Keine Zahnbürste. Keine Klamotten zum Wechseln. Die Grenze zu Österreich überquert. Zum Plumser Joch gewandert. Die Füße wund gelaufen und mit braunem Packpapier behandelt. Die Kleider auf einer Alm über´m Feuer getrocknet. Mit drei Pferdekutschen und einem Mulikarren gefahren. In einer Hafenkaschemme am Achensee zu Mittag gegessen. Eine Schiffahrt auf dem Achensee gemacht. Mit der Bahn gefahren.

Und das alles mit nichts außer Geld in der Hosentasche und dem Bädeker in der Jackentasche des Ehemannes. Der war die ganze Zeit an ihrer Seite. Denn alleine hätte sie das wohl doch nicht gemacht. So etwas macht man eben besser zu zweit.

Und deswegen liegt jetzt hier der Karo-Bube vor mir auf dem Tisch. Und unsere Zukunft ist die große Reise.

Und ich bin schon so gespannt, was für eine Reise das sein wird!

(Und darauf, wer der Karo-Bube ist, natürlich auch).

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