Luna – Geschichte eines Wals

Luna dancing in the sky with diamonds”

Jamie James, Lunas zeitweiliger Betreuer, über Luna bei Nacht

Tsu´xiit

Luna hatte gleich drei Namen. Schon das zeigt, welche Bedeutung der Wal für die verschiedenen Beteiligten hatte. Für die Wissenschaftler und die Behörden war das Wal-Baby „L98“, weil es in der L-Herde als Baby der Wal-Kuh L97 zur Welt kam. Für die meisten Menschen, die Luna kannten oder mit ihm in Berührung kamen, war der Orca oder Killerwal „Luna“.

Für die Mowachaht / Muchalaht First Nation war er „Tsu´xiit“.

Jeder der Beteiligten wollte das Beste für das zwei Jahre alte Waljunge, das eines Tages im Nootka Sound an der Westküste von Vancouver Island auftauchte, 200 Seemeilen von seiner Herde entfernt. Luna war alleine, vielleicht sogar einsam. Niemand wußte, ob so ein junger Wal überhaupt alleine überleben kann. Nicht zuletzt deswegen, weil Wale soziale Wesen sind, die in Familien leben und Kontakt brauchen. Aber niemand wußte wirklich, was das Beste für ihn war.

Die Behörden waren der Meinung, dass jeder Kontakt von L98 und Menschen schädlich, ja gefährlich war. Sowohl für den Wal als auch für die Menschen. Für die Behörden war L98 in seiner Herde am besten aufgehoben.

Die Menschen, die Luna erlebten, waren von seinem spielerischem Wesen und seinen Versuchen Kontakt aufzunehmen gerührt. Luna wollte spielen – also spielten sie mit ihm, so wie er es wollte.

Für die Mowachaht / Muchalaht lebte in Tsu´xiit die Seele ihres verstorbenen Häuptlings Ambroise Maquinna, der so zu ihnen zurückkam, genau wie er es angekündigt hatte: als kakawin, als Killerwal. Sie waren dafür, Tsu´xiit einfach in Ruhe zu lassen. Sie wollten der Natur ihren Lauf lassen.

Und so kam es zu einem kulturellen Clash.

Auf der einen Seite die Kultur der modernen Zivilisation, die eingreift, um die von ihr gewollte Ordnung zu schaffen, eine Kultur, die auf Technik und Kontrolle basiert. Auf der anderen Seite die spirituelle und traditionelle Kultur der Ureinwohner. Eine Kultur, die an shape shifting, Transformation, glaubt, und in der ein „Chief“ vor seinem Tod ankündigt, als welches Tier er zurückkehren wird.

Kurz zusammengefasst:

Die Fischereibehörden wollten L98 wieder zurück zu seiner Herde bringen.

Die Mowachaht / Muchalaht wollten Tsu´xiit in Ruhe lassen.

I´ve seen very interesting things. I am not a religious person, I am a scientist.”

Roger Dunlop, Biologe für den Nuu-chah-nulth Tribal Council

„Ich habe sehr interessante Dinge gesehen. Ich bin nicht religiös, ich bin ein Wissenschaftler“. Das ist Roger Dunlops Antwort auf meine Frage, ob er glaubt, dass die Seele von Chief Maquinna in Tsu´xiit wiedergeboren wurde.

Roger Dunlop ist ein Vermittler zwischen den Welten. Seine Familie stammt aus England, er kam als Kind nach Kanada, wo er in Calgary und an der Westküste aufwuchs. Er ist Biologe und arbeitet seit 1993 im Fischerei-Management der Verwaltung des Nuu-chah-nulth Tribal Council in Gold River. (Die Stämme der Westküste haben sich als Nuu-chah-laht zusammengeschlossen).

Während die DFO, die staatliche Fischereibehörde Kanadas, für die Gesetze und ihre Einhaltung zuständig ist, kümmert sich das Fischerei-Management des Tribal Council um die Tiere. So erfassen Roger Dunlop und seine Kollegen z.B. die Bestände von Lachsen und anderen Meerestieren, um Fangquoten festzulegen. Und sie kümmern sich um die Rechte der First Nation, die ja aus ihren angestammten Fischgründen verdrängt wurden.

Roger hat sogar einen „indianischen“ Namen bekommen: uu-pii-haa – einer, der viel hilft. Ich interviewe ihn an einem Dienstag im August, um mehr über Lunas Geschichte zu erfahren.

Lunas Geschichte

Luna wird im September 1999 im Puget Sound geboren. Als er verschwindet, hält man ihn für tot. Aber 2001 taucht er plötzlich im Nootka Sound auf. Der Nootka Sound an der Westküste von Vancouver Island ist eine Landschaft mit Inseln, Buchten, Inlets und Armen.

Zum ersten Mal sehen Roger Dunlop und Jamie James Luna, als sie mit ihrem Boot unterwegs sind. Dann wird die DFO auf Luna aufmerksam.

Eines Tages beginnt der junge Wal neben der Uchuck aufzutauchen und lange Strecken mitzuschwimmen. Die Uchuck III ist ein altes Schiff, das seit Jahrzehnten die Küste im Nootka Sound versorgt.

Jeder, der mit Luna in Kontakt kommt, ist von dem Wal angetan. Und so wird Luna zu einer Attraktion im Nootka Sound.

Der Wal schwimmt mit den Booten mit. Die Touristen sind begeistert. Sie streicheln und kraulen ihn, fassen in sein Maul. Aber einige gießen auch Bier in sein Blasloch. Und die kommerziellen Fischer sind verärgert, denn Luna beschädigt ihre Boote. Die Fischereibehörde greift ein.

Der Kontakt mit Luna wird unter Strafe gestellt. Das Problem ist allerdings, dass der Kontakt kaum zu vermeiden ist, da er von Luna gesucht wird. Mittendrin sind die Angestellten der Fischereibehörde mit Megafon, die den Kontakt unterbinden wollen. Ein Fischer zeigt Luna wegen versuchten Mordes an, da der Wal sein Boot herumgestoßen hat. Es ist im Grunde noch nur noch eine Frage der Zeit, bis es zu ernsthaften Schäden kommt.

Ein weiteres Problem ist, dass die Echolote der kommerziellen Fischereiboote auf 18 kHz senden – der gleichen Frequenz, die auch die Wale nutzen. Durch die Echolote wird der Wal orientierungslos. Also versucht er die Quelle der für ihn schmerzvollen Geräusche zu finden und auszuschalten.

We know, we always knew, that the outcome for a solitary marine mammal is certain death, it´s going to die.”

Wir wissen, wir wußten immer, dass ein einzelner Meeressäuger nicht überleben kann, er wird sterben, sagt Roger Dunlop.

Immer noch wollen alle da Beste für Luna. Und immer noch weiß niemand wirklich, was das sein könnte.

Also beschließt die Fischereibehörde: Luna muss zurück zu seiner Herde. Sie planen, Luna zu fangen, und mit einem Spezialtransporter über Land zu transportieren.

Die Ureinwohner bestehen darauf, dass der Wal im Nootka Sound bleibt. Zum einen ist Tsu´xiit ihr wiedergeborener Chief, zum anderen halten sie den Transport über Land für zu gefährlich. Es ist auch die Frage, ob sich Luna überhaupt in die Herde integrieren wird. Und Zusammenstöße mit Menschen und Booten sind in der sehr belebten Gegend von Victoria im Grunde unvermeidlich, weitere Probleme damit vorprogrammiert.

Dazu kommen Gerüchte auf, dass sogenannte „captivity options“ diskutiert werden, bei denen Luna in einem Erlebnispark landen wird. Und in der Tat sind es nicht nur Gerüchte. Roger Dunlop bestätigt, dass es Pläne gab, bei denen Luna in einem Freizeitpark gelandet wäre.

Die Mowachaht / Muchalaht schlagen vor, den Wal mit Kanus in die offene See zu locken. Die Fischereibehörde verweigert ihrer Zustimmung. Es sei zu gefährlich, dort draußen zu paddeln. Trotzdem gibt es mehrere Versuche, Tsu´xiit aus dem Nootka Sound zu locken. Doch der Wal dreht jedes Mal ab.

Die Lage spitzt sich zu. Die Fronten sind verhärtet. Es gibt ein Stewardship, eine Betreuung für den Wal, die dafür sorgen soll, dass ihm niemand zu nahe kommt. Die Stewards sind dazu angehalten, das Prinzip der „tough love“ zu praktizieren. Und das bedeutet: keinen Kontakt mit dem Wal. Von niemandem. Jetzt steht sogar schon der Blickkontakt mit dem Wal unter Strafe.

Luna versucht weiterhin hartnäckig Kontakt aufzunehmen.

Die DFO und die Stewards versuchen hartnäckig, diesen Kontakt zu verhindern.

Doch wie sollen die Betreuer den Wal betreuen, wie sollen sie ihn von anderen Booten weglocken, ohne mit ihm Kontakt aufzunehmen? Die Taktik wird geändert, nun dürfen die Betreuer dem Wal geben, was er sich anscheinend wünscht. Aufmerksamkeit und Kontakt. Dann bekommen die First Nation von der DFO Geld für ein Stewardship. Jetzt ist Jamie James für die Betreuung zuständig, eine ruhige Phase im Leben des Wales.

Aber dann, im Juni 2004, baut die Fischereibehörde eine Fangvorrichtung. Luna soll in das Netz gelockt und abtransportiert werden.

Die Mowachaht / Muchalaht sind nach wie vor dagegen. An dem Tag, als Luna ins Netz gehen soll, machen sie einen weiteren Versuch, den Wal mit ihren Kanus in die offene See zu locken.

In dem 2007 gedrehten Spielfilm „Luna – Spirit of the Whale“ kommt es zu einer dramatischen Abschlußszene. Das Boot der DFO lockt Luna in die Falle. Die Ureinwohner versuchen mit zwei alten Kanus Luna von der Falle wegzulocken. In einem letzten Versuch stimmen sie einen Song an. Und im allerletzten Moment, kurz ehe die Falle geschlossen wird, schwimmt Luna aus dem Netz, zu den Kanus und folgt ihnen.

Danach wird der Plan Luna umzusiedeln fallengelassen.

Auf der Uchuck III

Ich habe mich immer gefragt, wie viel von diesem Ereignis Wahrheit ist, und wie viel Filmdramaturgie. Und durch einen glücklichen Zufall des Lebens wird mir diese Frage beantwortet.

Es ist Samstag, der 18. Juli. Ich bin auf der Uchuck III. An diesem Wochenende war draußen in Yuquot das Sommerfest der Ureinwohner. Auch dieser Ort hat zwei Namen: „Friendly Cove“ und „Yuquot“. Yuquot bedeutet: Wind, der aus allen Richtungen kommt.

Ein paar Jahre lang hat Luna das Schiff auf der Strecke von Gold River nach Yuquot begleitet. Jetzt ist Luna tot. 2006 passiert, was viele befürchtet (und manche gewünscht) haben. Luna ist durch eine Schiffschraube getötet worden. Am Dock in Gold River gibt es eine Plakette, die an den Wal mit den drei Namen erinnert.

Und hier auf dem Boot gibt es viele Leute, die sich noch gut an Luna erinnern können. Einer davon sitzt mir gegenüber. Ein älterer Ureinwohner zeigt auf die Mooyah Bay. Hier, sagt er, hat Luna gelebt. Und dann erzählt mir von der dramatischen Rettungsaktion. Wie sie mit ihren Paddeln Lärm gemacht haben, wie sie gesungen haben. Wie Tsu´xiit im letzten Moment aus der Falle gesprungen ist.

Es war also wirklich so, wie es im Film gezeigt wird. Und während er erzählt, wie sie Tsu´xiit aus der Falle gelockt haben, leuchten seine Augen. Was für ein Tag!

Am 10. März 2006 sind es zehn Jahre, dass der Wal, der so viel Kontroversen ausgelöst hat, getötet wurde. Dann soll in der Mooyah Bay ein Gedenkstein für L98 – Luna – Tsu´xiit aufgestellt werden.

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