Eterna Estrangeira?

Eterna Estrangeira?

Ich stehe brav an der roten Ampel. Rot für Fußgänger, wohlgemerkt. Die Autos haben grün, aber da ist kein Auto. Also sind Elsa, Catarina und João längst auf der anderen Straßenseite. Und warten auf mich. So geht das seit Jahren mit uns. Die anderen gucken erst nach links, dann nach rechts und gehen dann rüber – ich gucke auf die rote Ampel und bleibe stehen.

Tu nunca vais ser uma Portuguesa, sagt Elsa, als ich endlich auch drüben bin. Du wirst nie eine Portugiesin. Sie sagt es mit einer Mischung aus Verständnis, Hoffnungslosigkeit und Akzeptanz. So nach dem Motto: Jetzt ist sie, also ich, schon so lange hier und hat es immer noch nicht begriffen. Es kommt nicht auf die Farbe des Ampellichts an, sondern auf den Verkehr. Kommt ein Auto, bleiben wir stehen. Kommt keins, gehen wir rüber. So einfach ist das.

Catarina und João sagen nichts, aber ich denke, sie denken das Gleiche. Und ich frage mich: Was bin ich, bin ich Deutsche oder Portugiesin oder was?

Ich bin nicht die einzige, die diese Frage stellt. Sobald ich den Mund aufmache und portugiesisch spreche, werden die Leute stutzig. So wie neulich auf dem Flug von Porto nach Hamburg. Ich warte in dem engen Raum vor der (noch engeren) Toilette. Der Flugbegleiter unterhält sich mit mir. Auf portugiesisch.

Und fragt nach ein paar Sätzen, mit einem Blick auf meine blonden Haare und blauen Augen (nein, nicht in meine Augen, sondern auf meine Augen): Sind Sie Portugiesin? Tja, bin ich nicht. Könnte ich allerdings, wenn ich bereit wäre, den ganzen Aufwand zu betreiben, der dazu nötig ist, einen portugiesischen Pass zu beantragen.

Gestern war ich zu einem Geburtstag eingeladen, es war eine gemischte Gruppe aus Deutschen, Schweizern und Portugiesen. Und wer stand Punkt 12 Uhr vor dem Restaurant? Als einzige? Genau, richtig geraten. Ich war die erste, noch vor den Schweizern! Elsa hat wohl recht, ich werde nie eine richtige Portugiesin: Ich bin überpünktlich, gehe nur bei grün über die Straße und esse gerne Lakritze.

Das ist übrigens der einzige Punkt, der an meiner deutschen Seite wirklich nervt. Die nächste Lakritze-Einkaufsmöglichkeit ist in Spanien. In Ayamonte. Dort gibt es nämlich nicht nur billigeren Sprit, sondern auch einen Laden, der Lakritzschnecken in Kilo-Tüten verkauft.

Und was ist mit meiner portugiesischen Seite? Mal sehen…

Erstens: die Gewohnheit, mindestens einmal täglich irgendwo einen Espresso zu trinken.

Zweitens: die Unlust, ewig über alles zu reden, auch wenn von Anfang an klar ist, dass es nichts bringt. Oder wie man hier sagt: „discutir o sexo dos anjos“. Dabei geht es nicht um den Sex der Engel, sondern um das Geschlecht der Engel. Das ja nicht zu bestimmen ist. Was die Diskussion sinnlos macht. Da redet man in Portugal lieber über gutes Essen, Filme, Veranstaltungen und Klatsch.

Gibt es einen dritten Punkt? Ja, gibt es.

Es ist die Art freundlich „Ja” zu sagen, wenn man „Nein“ meint, aber das dem anderen nicht ins Gesicht sagen will. Ich glaube, das kann ich jetzt auch einigermaßen.

Somit steht es 3:3. Und wissen Sie was? Damit kann ich gut leben. Ich bin eben beides. Von einem Zebra verlangt ja auch keiner, dass es sich für schwarz oder weiß entscheidet. Oder womöglich grau wird. Und so gesehen bin ich, und bestimmt auch noch viele andere hier, gestreift. Von mir aus auch kariert oder gemustert. Eigentlich gefällt mir gemustert am besten. Deutsch-portugiesisch oder portugiesisch-deutsch gemustert.

An der nächsten Ampel bin dann ich übrigens bei Rot rüber. Und habe zu Elsa gesagt: Estás a ver – já sou meia portuguesa. Ich bin schon eine halbe Portugiesin. Die anderen haben das nicht kommentiert. Verständlicherweise. Ein Läufer, der einen Kilometer läuft, bekommt ja auch kein Kompliment von einem Marathon-Läufer.

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